INTERKULTURALITÄT, DAS NEUE PARADIES
Da ist ein tiefer Atemzug in den Werken Johannes Genemans, ein Hauch bangen emotionalen Innehaltens von lyrischer Natürlichkeit, durchdrungen von einem Gefühl für Zeit und Harmonie der Formen in einer idealen und symbolischen Vision, die Vergangenheit mit Gegenwart und Zukunft zu einer unauflöslichen Einheit miteinander verbindet und von existentiellen Wahrheiten und universellen Werten pulsiert. Es handelt sich hierbei um einen inspirierten Impuls, der dank leidenschaftlicher Suche nach Formen und Plastiken und ästhetischen Erfahrungen als Modedesigner des „Made in Italy“ heran gereift ist. Um eine Bewusstwerdung durch Meditation, die als Ziel und als Inhalt den Traum eines wiedergefundenen Edens hegt, das heißt eines neuen Paradieses, wo das Gefühl von Verbundenheit, Solidarität und Respekt für seinesgleichen wieder zu einem absoluten ethischen Wert und einer gängigen Lebensart wird. In Bezug darauf ist die Bibel eindeutig. Am Anfang schuf Gott den Mann als sein Ebenbild, dann als er sah, dass dieser allein war, nahm er eine seiner Rippen und formte daraus die Frau. „Als Mann und Frau schuf er sie“, der Gleichberechtigung von Mann und Frau wegen, unterschiedliche Geschlechter sowie die Aufforderung zur Fortpflanzung („Seid fruchtbar und vermehrt euch“). Nicht alles lief wie ursprünglich geplant. Adam und Eva wurden von der Schlange dazu verführt, die verbotene Frucht zu essen und missachteten somit die göttliche Regel. Daher die Vertreibung aus dem irdischen Paradies und der Beginn einer noch heute andauernden ziellosen Wanderschaft zwischen Konflikten, Entweihungen und Verwirrungen, die die Zukunft der jüngeren Generationen untergraben. Mit seinen Werken übermittelt der holländische Bildhauer eine präzise Botschaft von Hoffnung und friedvollem Zusammenleben.
Dieses Projekt, bei dem er als eins seiner höchsten Ziele die Wiedererlangung der grundlegenden Rolle der Frau in der Gesellschaft und der Familie betrachtet sowie die Wiederherstellung des weltlichen Gleichgewichts, liegt Genemans sehr am Herzen. Die jüngsten Vorfälle erfüllen den Künstler mit Besorgnis: “Die Welt ist im Chaos, die verschiedenen Kulturen sind in Gefahr, die monotheistischen Religionen wie Islam, Judentum und Christentum stehen in Konflikt zueinander. Dabei darf man die tiefe Verwurzelung des Islamischen Staates IS, das Phänomen der Migration und die Eskalation der Attentate nicht unterschätzen. Es findet zurzeit ein erbarmungsloser Krieg statt, der das Leben des Menschen, seine Kultur und seine Identität aufs Spiel setzt.“ Wie kann man aus diesem verworrenen Chaos herausfinden ? Nicht seinen Worten vertraut Genemans die Lösung dieses Problems an sondern seinem laufenden Projekt „Intercultura“, das sich als großes Kunstwerk aus verschiedenen Materialien entpuppt, voll von Symbolismus, glitzernd und innovativ, ein multikulturelles Werk. Es besteht aus sechs jungen Frauen die verschiedenen Völkern, Kulturen und Zivilisationen entstammen, Verwahrerinnen von Bräuchen, Gepflogenheiten und Traditionen ihrer jeweiligen Herkunftsländer. Es handelt sich um Skulpturen aus fein geschmolzener Bronze, weibliche Ikonen, vor Anmut und Eleganz vibrierend und mit gewöhnlichen Gefühlen wie Liebe, Frieden und Solidarität belebt. Es sind die modernen Töchter Evas, einfach, keusch, großherzig und sehr motiviert, sie wollen eine neue friedliche Welt für ein Leben in Eintracht und Harmonie schaffen. Diese leuchtenden Heldinnen der Geschichte und des Lebens sind Carolina , die Europäerin aus dem Mittelmeerraum, Letizia, die Südamerikanerin aus Brasilien, Orissa, die Inderin, Dahkla, die Afrikanerin, Geisha, die Japanerin und Asmae, die Araberin, von der man vielleicht die einschneidendste und umwälzendste Revolution erwartet: die Befreiung der islamischen Frauen, die dazu gezwungen sind, sich zu verschleiern, ihre Weiblichkeit zu verbergen und vorzeitige Zwangsverheiratungen in zartem Kindes- oder Jugendalter zu erleiden. Alle sechs Skulpturen sind von wallenden, hauchdünnen, leichten, durchsichtigen Tüchern mit zarten Farben und romantischen Formen umhüllt.
Elegante auserlesene Gewänder, die den Plastiken Lebendigkeit, Natürlichkeit und Liebreiz verleihen. Die Gesichter der Frauen sind bis ins kleinste Detail meisterhaft definiert. Keins gleicht dem Anderen, das gleiche gilt für die regelmäßigen Bewegungen, die die „sprechenden“ Körper mit ihren Armen durchführen, mal hoch erhoben, Unschuld bezeugend, mal wohlmeinend nach vorn gestreckt, mal hinterm Nacken verschränkt oder gebeugt vor die Brust gehalten, als Ausdruck tief empfundener Liebenswürdigkeit, Anmut und Entgegenkommen.
Mit großer Empfindsamkeit und Intuition sowie weiser Meisterhaftigkeit gelingt es Genemans die Frauen mit ihren Universen zu vereinen, er erfasst ihre Gemütszustände sowie deren amniotische Empfindungen, er kreiert anmutsvolle und lievitante Bilder, indem er eine Atmosphäre von Suggestion und emotionellem Pathos schafft, die jeder seiner Frauenfiguren Einzigartigkeit, Fremdartigkeit und etwas Zauberhaftes verleiht, das in der Lage ist, im menschlichen Bewusstsein eine Spur zu hinterlassen und die kollektive Vorstellungswelt der gesamten Menschheit zu entfachen. Die sechs Skulpturen sind hinsichtlich ihrer Formen nicht nur beispielhafte Modelle für Harmonie und Schönheit sondern auch ein Ausdruck an Verbundenheit, Freundschaft und Zuneigung. Lebende und sich regende „Wesen“ würde ich sagen, vollauf mit ihrer wichtigen Aufgabe beschäftigt, den Lauf der Dinge in Richtung einer friedvollen, sorglosen und gelassenen Zukunft zu ändern. Johannes Genemans, immer weise wie ein antiker Prophet, verweist jedoch auf Folgendes: „ Solange Frauen keine vollen Rechte (und Befugnisse) haben, besonders in den arabischen Ländern, ist es utopisch anzunehmen, dass ideologische Unterschiede und Kriege je ein Ende nehmen.“ Nach einer aufmerksamen Analyse kommt man zu dem Ergebnis, dass das Projekt “Intercultura Group”, das bereits erfolgreich bei der Expo in Mailand und anderweitig vorgestellt worden ist, darauf zielt, Dialoge, Einigkeit und Integration aller Völker zu fördern, um schon seit Urzeiten bestehende Gegensätze zwischen den verschiedenen Religionen, Kulturen und Zivilisationen zu überwinden. Das Ziel ist eine neue Welt, in der Andersartigkeit und Respekt für den Anderen wieder die höchsten ethischen und sozialen Werte sein sollen. Ein Leben, bei dem Dialog und Interaktion zwischen den unterschiedlichen Sprachen, Ethnien und Kulturen zum Entstehen einer neuen Phase des menschlichen Lebens führen, und zwar zu der, die der Philosoph Giambattista Vico bei seiner Theorie der ständigen Wiederholung der drei historischen Zyklen (Kulturkreislauftheorie) “das zivile und wahrhaft menschliche Zeitalter” nannte (nach “dem primitiven und göttlichen” und “dem poetisch und heroischen”), in dem alle Menschen sich im Anderen wiederfinden und erkennen können, in absoluter Freiheit, in gegenseitigem Respekt und in Harmonie, bei gerechter angemessener Verteilung von Nahrungsmitteln, Wasser und Energie und gleichzeitigem Abbau von individuellem Egoismus, Eigennutz und Machthunger. Ist das etwa utopisch ? Nein, es handelt sich um eine ideale zeitlose Vision, eine neu geschaffene Ordnung, ein wiedergefundenes Paradies. Erstaunlich, mit welcher Hartnäckigkeit der holländische Bildhauer dieses ehrgeizige multikulturelle Projekt im Zeichen ethischer Prinzipien und universeller Werte vorantreibt.
Eine Wahl, die den Menschen betrifft, das Menschsein, das Leben, in keinster Weise aber die Qualität seiner Suche nach Ästhetik beeinträchtigt, die stets nach der perfekten Form und der reinen Schönheit strebt, so wie es sich für einen echten Liebhaber der Modellierkunst mit europäischer Prägung gehört, von Gian Lorenzo Bernini, erhabener Vertreter des römischen Barocks, über Bertel Thorvaldsen, Begründer des europäischen Purismus, Antonio Canova, einem der hochrangigsten Künstler des Neoklassizismus und Andrea Verrocchio, Schöpfer wunderbarer Plastik- und Leuchteffekte bis hin zu den empfindsamsten und feinsten Darstellungen des XX. Jahrhunderts, so wie die des großen Bildhauers Emilio Greco. Genemans analysiert und studiert diese stilistischen Bezugspunkte, macht sie sich zu eigen und gelangt so zu seiner persönlichen formgebenden und plastischen Ausdrucksart, die von tiefster Menschlichkeit und intimer Romantik durchströmt ist. Dank eines sich selbst auferlegten Drucks, immer besser zu werden, lebt er auch von seinen eigenen Suggestionen des Symbolismus (siehe: die Frauen, der Charme der Belle Époque) sowie vom Zauber der Verzierungen, wie die in den bemalten Loggien in italienischen Städten und in den Salons historischer Gebäude mit Wandmalereien. Auch von der symbolischen und dekorativen Konzeption Gustav Klimts und der Fähigkeit der mexikanischen Malerin Frida Kahlo, Leiden der Einheimischen in Kunst zu verwandeln sowie der Fantasie von Helena Lam, Schöpferin herrlicher Frauenfiguren, ist er stark angezogen. Genemans ist im Innern dieser Atmosphäre, er ist immer wiederkehrenden aufregenden Gemütszuständen ausgesetzt sowohl in Hinblick auf seine Empfindungen als auch auf seine Poesie, er übersetzt seine Gefühle in eine höchst ästhetische Vision, da wo Verstand und Gefühl eins werden in einem Unikum aus Wahrheit und Tugend. Daher kommt das Prinzip von Erfindung und Kreativität. In den Skulpturen dieser wunderbaren Serie, alles weibliche Figuren, erreicht die bildliche Vision ihren Höhepunkt in der Romantik, das emotionale Pathos verlagert sich in die Kontemplation, dabei entstehen einzigartige orphische Effekte, infolge einer extremen Feinheit, die zu einem freien und leidenschaftlichen Gesang von unverdorbener und ewiger Schönheit wird, so wie nur wirkliche Meister es vermögen.
Und wenn es wahr ist, dass “Schönheit eine geheime Botschaft und ein Lockruf für das Transzendente” ist (Giovanni Paolo II.) und dass “Schönheit die Welt retten wird” (F. Dostojewski), dann haben wir hier die wichtigste Quelle der Inspiration für die kreativen Eingebungen von Johannes Genemans gefunden, ein Mann, der seine ausgewählten Frauen gern beschützt, ein moderner, einzigartiger und origineller Künstler in der Lage, die Welt neu zu erdenken und ein neues Paradies auf Erden zu verkünden.
Alvaro Valenti